Osmar Schindler: Die Blindenheilung (1927)


Das Gemälde ist unvollendet; der Künstler hat in seinem letzten Willen bestimmt, daß keine andere Hand je zu Ende führe, was ihm zu Ende zu führen versagt blieb. Dennoch, Osmar Schindlers letztes Werk steht so vor uns, daß es nicht als ein Torso erlebt wird, sondern als ein ausgereiftes Kunstwerk von tiefem und erbauendem Eindruck!

Im Mittelpunkt des Bildes steht Christus – nicht nazarenerhaft aufgefaßt, sondern gegenwartsgemäß, geistesgewaltig, von inner her durchglüht, von Gott und seiner Ewigkeit erfüllt, als deren Symbol sich über ihm die Sternenwelt wölben sollte. Er steht auf Felsengrund, während der Strom der Menschheit unter den Sternen dahinwallt – viele berufen, aber wenige auserwählt! Die Auserwählten scharen sich um Christus her – ein Kreis von Menschen, in ihren Gesichtern wundersam erleuchtet, und das Licht geht nur aus von ihm, über dem der Künstler nicht einmal die Sterne leuchten lassen durfte! Das Bild ist gerade in seinem tragischen Nichtvollendetsein von allerhöchster Wirkung.

Um Christus her hat sich ein Halbkreis von Menschen gebildet – wie bedeutsam, er setzt sich fort durch die, die als Beschauer vor dem Bilde stehen und die mit denen auf dem Bilde sich vereinen zur comunio sanctorum, gewirkt von der Christuskraft im Zentrum. Die Gestalten des Bildes sind alle dem Leben entnommen, einmal geprägte Individualitäten, wie denn Christus auch keine blasse Idee ist, sondern historische Einmaligkeit, in die Weltwirklichkeit hineingestellt, um Menschen von bestimmten Fleisch und Blut zu gewinnen!

Die Gestalt des Christus ist geformt nach Studien, von Schindler einst gemacht nach dem Modell eines Neukircher Graphikers, der selbst feine religiöse Darstellungen zu schaffen vermochte, der frühreif, auch frühvollendet heimging und der nach des Künstlers eigenem Urteil einen Hauch von Christusähnlichkeit an sich trug. Die Christushände, vom Künstler mit vollem Bewußtsein mit den Nägelmalen versehen, da er „den ganzen Christus darstellen wollte“, sind Schindlers eigene Hände. Wie lebendig plastisch die gen Himmel erhobene Hand! Vorausgegangen sind Studien, auf schwarzem Karton bunt gemalt – eine Spezialität, in der er besonders Meister war. Derselbe Christus ist in der Potschappler Kirche im Profil dargestellt; nicht umsonst ist in der Sakristei eine Kopie davon aufgehängt.

Die Männer um Christus her – vom Beschauer aus rechts begonnen – der junge Mann mit dem Schillerkragen, ein Sohn des Tolkewitzer Schuldirektors Werner, eines Neffen des Künstlers. Er gilt als Vertreter der idealistischen Jugendbewegung.

Die nächste männliche Gestalt trägt die Züge des Jenenser Philosophen Rudolf Euken, der während der Herstellung des Bildes starb; mit wieviel Freudigkeit hat Schindler den Gelehrtenkopf in den Kreis um Christus her hineingestellt.

Die nächste Gestalt ist Osmar Schindler selbst, auf Wunsch der beiden Bischofswerdaer Pfarrer Semm und Müller im Bilde für alle Zeit festgehalten, wobei unvergessen bleiben soll des Künstlers Bekenntnis, „er wolle nicht nur auf dem Bilde in der Nähe des Christus sein“.

Von den beiden Jungen im Vordergrund des Bildes ist der eine Heinz Zierold in Dresden-Wachwitz, in das Atelier hereingerufen, damit er Modell stehe, während der andere auf des Künstlers einzigen Sohn hinweist, der auf der anderen Seite des Bildes auch als kleines Kind auf Mutterarmen erscheint.

Links vom Christus ist ein echter Lausitzer Schädel zu sehen, zugehörig einem Sinnierer, der im Hause Schindler „Spezialist im Holzhacken war“, und schließlich bleibt noch übrig die Gestalt des Arbeitsmannes, des Wachwitzer Gärtners, der dem Künstler den geliebten Steingarten betreute.

Was die Frauengestalten des Bildes angeht, so ist hochbedeutsam, daß dreimal in dem Kreis um Christus her zu finden ist die Mutter mit dem Kinde, zum ersten die junge Mutter – wie groß die Bedeutung des mütterlichen Glaubens für des Kindes frühestes Werden! Zum anderen der mütterliche Glaube auf der Höhe des Lebens, die Mutter kniet mit dem feldgrau gekleideten Sohne vor Christus. Weltkriegserfahrungen durchklingen erschütternd das Bild. Um zum dritten die Mutter am Abend des Lebens gereift, fast schon verklärt, es ist Schindlers eigene, über alle Maßen geliebte Mutter, die einst in Bischofswerda auf der Georgstraße wohnte, um die des Sohnes Gedanken waren bis in seine Todesstunde, und neben ihr Schindler, so, wie er im Leben wirklich war, mit dem heimwehkranken Blick, der die unendliche Ferne sucht – Schindler war eine faustische Natur, niemals fertig, immer strebend. Schon der Vierundzwanzigjährige hat in Bischofswerda die Mutter gemalt; daß er sie noch einmal für Bischofswerda im verklärenden Abendsonnenschein malen durfte, bedeutet wie für den Künstler, so auch für den Menschen Schindler eine gottgeschenkte Erfüllung.

Im Vordergund des Bildes kniet einsam eine fromme Mädchengestalt, die religiöse Inbrunst darstellend, ohne die Schindlers Werke nicht verständlich sind; er hat seine religiösen Werke stets gläubig geschaffen!

Und die Braut, die das Bild zeigt? Es ist die einst tödlich verunglückte Tochter eines Dresdner Milchversorgungsdirektors Reh. Auch für junge Liebe strömt letzten Endes Kraft und Reife von Christus her!

So sehr die einzelne Individualität betont wird, das Entscheidende ist doch die Gemeinschaft und zwar die Gemeinschaft, deren tragender Grund Christus ist.

Aufzeichnung von Pfarrer Semm (†)

Lebenslauf des Malers Osmar Schindler (pdf)